Sozialhilfeträger müssen behinderten Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen und ihnen hierfür notwendige Kosten grundsätzlich erstatten. Pflegen Behinderte dabei auch weiter entfernte soziale Kontakte, dürfen die Behörden diese nicht pauschal auf monatlich vier Fahrten beschränken, heißt es in einem am Donnerstag, 02.02.2012, bekanntgegebenen rechtlichen Hinweis des Bundessozialgerichts (BSG) (AZ: B 8 SO 9/10 R). Die Kasseler Richter äußerten damit erhebliche Bedenken gegen eine anderslautende Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen vom 22.02.2010 (AZ: L 20 SO 75/07).

Geklagt hatte eine 1984 geborene mehrfach behinderte Frau aus dem Kreis Heinsberg nördlich von Aachen. Die blinde, schwerhörige und teilweise gelähmte Frau hatte sich für 30.000,00 € ein neues Auto gekauft, um so zu ihrem Arbeitsplatz – einer Werkstatt für Behinderte –, zum Arzt sowie zu Freunden und Familienangehörigen zu gelangen. Auch Vereinsaktivitäten sollten mit dem Pkw ermöglicht werden. Jährlich kamen so mit dem Auto 15.000 gefahrene Kilometer zusammen.

Um das Fahrzeug auch nutzen zu können, hatte die Frau einen schwenkbaren Autositz einbauen lassen. Für die Kosten in Höhe von 7.934,67 € sollte der Landschaftsverband Rheinland als überörtlicher Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe aufkommen.

Der Landschaftsverband lehnte die Kostenerstattung ab. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Antragstellung rund 45.000,00 € an Vermögen gehabt. Dies müsse erst einmal bis auf das Schonvermögen von 2.600,00 € aufgebraucht werden.

Die gesetzlich garantierte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft könne zudem auch über Behindertenfahrdienste garantiert werden. Eine nach oben offene Zahl der Fahrten könne dabei nicht gewährt werden. Denn auch Nichtbehinderte seien nicht grenzenlos mobil.

Das LSG Essen bestätigte diese Auffassung und meinte, dass monatlich vier Fahrten von mehr als 35 Kilometern die Pflege weiter entfernter Kontakte ausreichend gewährleiste.

Doch eine solche pauschale Grenze werde der Teilhabe Behinderter am gesellschaftlichen Leben nicht gerecht und sei daher nicht haltbar, betonte nun das BSG. Daher soll nun das LSG prüfen, welche Fahrten zu welchen Zwecken die Frau unternehmen will, in welchem Umfang dies angemessen ist und ob danach der Umbau des Autos nicht doch die wirtschaftlichere Lösung gegenüber dem Angebot verschiedener Fahrdienste wäre.

Ob die Sozialhilfe den schwenkbaren Autositz bezahlen muss, hängt nach dem Kasseler Urteil auch vom Vermögen der Klägerin ab. Das neu angeschaffte Auto zähle möglicherweise ebenfalls dazu. Eventuell sei der Klägerin der Verkauf des Neuwagens und stattdessen der Kauf eines Gebrauchtwagens zuzumuten.

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