Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat in einem Grundsatzurteil den Unfallversicherungsschutz von Organspendern gestärkt. Erleiden sie bei der Organentnahme einen Gesundheitsschaden, der über den mit der Operation verbundenen Eingriff in den Körper hinausgeht, können sie eine Entschädigung von der gesetzlichen Unfallversicherung verlangen, so der 2. Senat des BSG in seinem am Dienstag, 15.05.2012, verkündeten Urteil (AZ: B 2 U 16/11 R).

Damit bekam der mittlerweile in Rente befindende Kläger aus Sachsen-Anhalt im Grundsatz recht. Der Mann hatte am 17.10.2002 seine linke Niere für seinen kranken Bruder gespendet. Bei der Operation hatte der Arzt einen sogenannten Flankenschnitt gesetzt, um die Niere entnehmen zu können. Dabei wurden auch einige Nerven beschädigt. Folge war eine teilweise Lähmung der linken Bauchwand.

Von der Unfallkasse Sachsen-Anhalt forderte der Mann eine Verletztenrente. Wegen der Lebendorganspende liege bei ihm eine Erwerbsminderung von 20 Prozent vor. Nach den gesetzlichen Bestimmungen müsse die Unfallversicherung Folgeschäden einer Organspende wie ein Arbeitsunfall entschädigen.

Die Unfallkasse lehnte die Zahlung ab. Der Kläger habe sich dem Eingriff freiwillig unterzogen. Ein Arbeitsunfall gehe jedoch immer auf ein unfreiwilliges Ereignis zurück. Um Unfallversicherungsschutz bei einer Organspende in Anspruch nehmen zu können, müsse ein weiteres, von außen auf den Körper wirkendes Ereignis vorliegen – beispielsweise eine nach der Organentnahme aufgetretene Infektion.

Außerdem sei der Kläger über die Operationsrisiken aufgeklärt worden. Für den Organspender habe es sich hier um eine vorhersehbare Komplikation gehandelt, für die die Versichertengemeinschaft nicht aufkommen müsse.

Dem folgte der 2. Senat des BSG jedoch nicht. Mit der unentgeltlichen Nierenspende habe der Kläger eine versicherte Tätigkeit ausgeführt. Es habe mit der Organentnahme und dem Skalpellschnitt auch ein von außen auf den Körper des Klägers einwirkendes Ereignis gegeben. Auch ein Gesundheitsschaden, die teilweise Lähmung der Bauchwand, liege vor. Damit seien die rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Arbeitsunfall erfüllt.

Die Unfallkasse müsse natürlich nicht für jene Schäden aufkommen, die notgedrungen mit der Organentnahme verbunden sind. Liege jedoch ein darüber hinausgehender Gesundheitsschaden vor, stehe die Unfallkasse in der Pflicht. Es spiele dabei keine Rolle, dass der Organspender in die Operation und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken eingewilligt hat, so die Kasseler Richter. Ausnahme: Dem Spender kommt es gerade darauf an, einen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Den konkreten Fall verwies das BSG an die Vorinstanz zurück. Diese muss noch klären, wann der Gesundheitsschaden beim Kläger genau aufgetreten ist.

Martin Plenikowski, Stellvertretender Direktor der Unfallkasse Sachsen-Anhalt befürchtet, dass die Entscheidung zu einem „sprunghaften Anstieg“ von Entschädigungsansprüchen führt. Die Krankenversicherungen könnten unter Umständen bei Komplikationen nach einer Organspende leichter auf die Leistungspflicht der Unfallkassen und Berufsgenossenschaften verweisen. „Das kann beitragsrechtliche Konsequenzen haben“, so Plenikowski. Die Unternehmen als Beitragszahler der Unfallkassen und Berufsgenossenschaften müssten die Gesundheitsrisiken bei Organspenden tragen, obwohl die Organspende eine allgemein gewünschte gesellschaftliche Aufgabe darstelle, kritisierte er.

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