© GaToR-GFX - Fotolia.comErklärt ein Richter während einer Gerichtsverhandlung: „Die Wahrheit interessiert mich nicht“, ist das mehr als eine etwas „ungehaltene Äußerung“. Sie zeigt vielmehr, dass ein Richter an seiner Amtspflicht, der Wahrheit zu dienen, nicht interessiert ist, stellte das Bundesverfassungsgericht in einem jetzt veröffentlichten Beschluss vom 12.12.2012 klar (AZ: 2 BvR 1750/12). Die Karlsruher Richter entschieden, dass solch eine Äußerung einen Befangenheitsantrag gegen einen Richter begründen könne.

Konkret ging es um einen Zivilrechtsstreit am Landgericht Chemnitz am 03.11.2011. Der Anwalt des Klägers, der eine in der Schweiz ansässige Aktiengesellschaft vertrat, hatte während der Verhandlung bei dem zuständigen Einzelrichter die Ladung eines in der Schweiz lebenden Zeugen beantragt. Doch der Richter lehnte dies ab und wollte den entsprechenden Beweisantrag auch nicht in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufnehmen.

Der Anwalt wandte daraufhin ein, dass es die Aufgabe eines Richters sei, die Wahrheit zu erforschen. Der Richter reagierte unwirsch mit den Worten: „Die Wahrheit interessiert mich nicht.“ Daraufhin beantragte der Anwalt, den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Das Landgericht Chemnitz hielt dies alles nicht für so schlimm. Eine Befangenheit liege nur vor, wenn „sich der Eindruck einer willkürlichen, sachwidrigen und auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung“ aufdränge. Dies sei hier nicht der Fall. Der Richter habe in seiner dienstlichen Stellungnahme nur erklärt, dass er „wohl etwas ungehalten“ reagiert habe.

Das Oberlandesgericht Dresden hielt den Befangenheitsantrag ebenfalls für unbegründet. Der Anwalt habe vielmehr mit der Bemerkung, dass ein Richter zur Wahrheitsfindung verpflichtet sei, ein Druckmittel eingesetzt, um den Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen.

Das Bundesverfassungsgericht erinnerte die Gerichte jedoch daran, dass die Äußerung „Die Wahrheit interessiert mich nicht“, nicht auf die leichte Schulter genommen werden darf. Die Bemerkung lasse „an der Unvoreingenommenheit des Richters zweifeln“. Um einen Befangenheitsantrag stattzugeben, müsse nicht nur eine tatsächliche Befangenheit vorliegen, „es genügt schon der ‚böse Schein‘, also der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität“, so die 3. Kammer des Zweiten Senats.

Dem Kläger sei letztlich sein Grundrecht auf einen unabhängigen gesetzlichen Richter vorenthalten worden. Denn ein gesetzlicher Richter sei seinem Amtseid gemäß der Wahrheit verpflichtet. Die grob unsachliche Äußerung des Richters erwecke aber offensichtlich den Eindruck einer Voreingenommenheit. Auch die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass der Anwalt mit dem Hinweis auf die richterliche Pflicht zur Wahrheitsfindung nur ein Druckmittel zur Ladung des Zeugen eingesetzt habe, sei „nicht ansatzweise nachvollziehbar“.

Nach diesen Maßgaben soll nun das Landgericht Chemnitz neu über den Befangenheitsantrag entscheiden.

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