© eschwarzer - Fotolia.comLiegt eine Patientin nackt und narkotisiert auf einem Operationstisch, darf der 90-jährige Vater des Chefarztes nicht einfach zusehen. Dies betonte das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in Mainz in einem am Mittwoch, 20.02.2013, veröffentlichten Urteil und bestätigte damit die Kündigung des Chefarztes der Chirurgie eines kirchlichen Krankenhauses aus dem Raum Trier (AZ: 2 Sa 402/12).

Hintergrund des Rechtsstreits war die geplante Entfernung der Gallenblase einer 1969 geborenen Patientin. Die narkotisierte Frau wurde in „Seitenschnittlage“ und mit etwas gespreizten Beinen in den OP-Saal gebracht. Die Patientin trug ein OP-Hemd, welches zum Anschließen von Elektroden aufgedeckt wurde. Ein den Unterleib bedeckendes Tuch wurde während der Operation entfernt.

Einen Blick auf die Patientin hatte jedoch nicht nur das OP-Team. Auch der 90-jährige Vater des Chefarztes konnte die OP der Patientin nur drei Meter entfernt auf einem Rollhocker sitzend beobachten. Neben ihm lagen auf einem Schreibtisch Patientenunterlagen. Die Frau wusste von dem 90-jährigen Zuschauer nichts. Vielmehr war die Anwesenheit des Mannes eine spontane Idee des Chefarztes gewesen.

Sein Vater habe wegen einer anstehenden Kniegelenksspiegelung Angst vor einer Vollnarkose gehabt, so der Mediziner. Um diese „irrationalen Bedenken“ zu entkräften, habe er den Mann einfach zu der Operation der Frau mitgenommen.

Dem OP-Team stellte er seinen Vater mit den Worten vor: „Guten Morgen, das ist mein Vater. Der heißt natürlich auch C.. Er möchte sich heute die Operation gerne auf dem Fernseher anschauen“.

Doch für die spontane Idee, dem 90-Jährigen Mann die OP einer narkotisierten und damit wehrlosen Patientin ohne deren Wissen zu präsentieren, hatte die Klinik kein Verständnis. Sie kündigte dem heute 60-jährigen Chefarzt am 22.12.2011 fristlos, hilfsweise ordentlich.

Die Patientin habe sich „vollständig nackt in Seitenschnittlage liegend im Blickfeld des Vaters des Klägers befunden“. Das Vorgehen stelle eine „grobe Missachtung der Schweigepflicht“ dar, das besondere Schutzbedürfnis der narkotisierten Frau sei missachtet worden. Der Arzt habe deren Würde „in gröbster Weise missachtet. Über die Anwesenheit des Fremden seien die Krankenschwestern schockiert gewesen, hätten aber aus Respekt vor der Chefarztposition des Klägers nichts gesagt.

Gegen seine Kündigung klagte der Chirurg. Er räumte ein, dass er gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen habe. Dies tue ihm leid. Eine Abmahnung hätte jedoch ausgereicht.

Das LAG verwarf zwar wegen des Alters des Klägers und dessen bislang beanstandungsfreies Arbeitsverhältnis die fristlose Kündigung. Die fristgemäße Kündigung sei jedoch wirksam. Der Kläger habe seine Aufklärungspflicht verletzt, da er die Patientin nicht über die Anwesenheit des 90-Jährigen informiert und ihr Einverständnis eingeholt hatte.

Auch die Würde der Patienten sei „gravierend missachtet“ worden, so das LAG in seinem Urteil vom 06.12.2012. Zumindest zeitweise seien Brust und Schambereich entblößt gewesen. Der Schutz der Menschenwürde und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebiete es aber, dass während einer OP nur Personen anwesend sind, die an der Durchführung der Operation auch beteiligt sind. Auch habe der Kläger mit dem Mitbringen seines Vaters gegen Hygienevorschriften verstoßen, da jede weitere Person im OP-Saal die Gefahr der Übertragung von Krankheitserregern erhöht.

Das Verhalten des Chefarztes sei daher eine „nicht mehr hinnehmbare Entgleisung“, die eine Kündigung rechtfertigt, so die Mainzer Arbeitsrichter.

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