Klettern Beschäftigte durch ein Dachgeschossfenster statt auf dem Weg zur Arbeit die Haustüre zu benutzen, kann trotzdem bei einem Unfall die gesetzliche Unfallversicherung einspringen. Denn ist die Außentür eines Hauses nicht erreichbar, kann ausnahmsweise auch das Klettern durch ein Fenster zum „unmittelbaren Arbeitsweg“ gehören, so dass Unfall-Schutz besteht, urteilte am Donnerstag, 31.08.2017, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (AZ: B 2 U 2/16 R).

Damit bekam ein selbstständiger Kfz-Lackierer aus Nordrhein-Westfalen recht. Der Mann hatte am Samstagnachmittag des 17.03.2012 einen wichtigen Kundentermin vereinbart. Zuvor legte er sich zu Hause noch mal kurz zum Mittagsschlaf hin.

Als er dann losgehen wollte, kam er aus seiner Wohnung nicht heraus. Er hatte zuvor die Wohnungstür abgeschlossen, beim Aufschließen brach jedoch der Haustürschlüssel ab. Kurz entschlossen kletterte er mit voller Arbeitsmontur durch das Dachgeschossfenster des zweieinhalbstöckigen Mehrfamilienhauses, um den Kundentermin wahrnehmen zu können. Über ein Vordach, 2,60 Meter unterhalb des Fensters, wollte er dann auf die Straße gelangen.

Doch er rutschte ab und fiel auf das Vordach. Nach rund eineinhalb Stunden hörte die Nachbarin die Rufe des Mannes und informierte den Notarzt. Im Krankenhaus wurde ein Bruch des rechten Unterschenkels festgestellt.

 

Liegt beim Unfall ein Wegeunfall vor?

Der bei der Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr pflichtversicherte selbstständige Kfz-Lackierer wollte den Fenstersturz und Unfall als Wegeunfall anerkannt haben. Nach der ständigen Rechtsprechung bestehe mit dem Durchschreiten der Außentür eines Hauses Unfallschutz. Sei dies nicht möglich, müsse Unfallschutz auch beim Verlassen des Hauses durch ein Fenster bestehen, meinte er.

Das Landessozialgericht LSG) Nordrhein-Westfalen stimmte dem zwar im Grunde zu. Hier sei der Kläger aber auf das zum Haus gehörende Vordach gefallen. Damit habe er den öffentlichen, unter Unfallschutz stehenden Bereich noch nicht erreicht.

Das BSG hatte mit dem Kfz-Lackierer jedoch ein Einsehen. Für den Unfallschutz müsse ein Beschäftigter sich auf den unmittelbaren Arbeitsweg befinden. Dies sei normalerweise mit dem Durchschreiten der Außentür eines Hauses der Fall. So bestehe im Treppenhaus kein Unfallschutz, im ebenfalls noch privaten Vorgarten dagegen schon. Da der Kläger nicht durch die Außentüre das Haus verlassen konnte, führe ausnahmsweise auch das Klettern durch das Fenster zur Anerkennung als Wegeunfall, urteilten die obersten Sozialrichter.

Es komme dabei nicht darauf an, inwieweit das Vordach zur privaten Sphäre oder zum öffentlichen Bereich gehöre. Das Fenster sei vielmehr als Grenze zwischen häuslichem und Außenbereich zu werten. Hier habe der Kläger sich nach dem Durchklettern im Außenbereich befunden, so dass Unfallschutz bestand.

Dies sei aber „kein Freibrief für Kletterer“, betonte das BSG. Der Weg durch das Fenster könne nur dann versichert sein, wenn der normale Weg durch Wohnungs- und Haustür versperrt ist. Zudem müsse der Kletter-Weg auch „geeignet“ sein. Das Herausklettern beispielsweise im zwölften Stock zähle dazu nicht. Gegen einen Unfallschutz würde zudem sprechen, wenn der Beschäftigte sich auf diese Weise als „guter Turner“ beweisen oder seinen Übermut und Imponiergehabe Ausdruck verleihen wolle. Dafür habe es hier aber keine Hinweise gegeben.

 

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