Nutzen Arbeitnehmer aus betrieblichen Gründen einen Internet-Messenger-Dienst, dürfen Arbeitgeber diese Kommunikation nicht heimlich überwachen. Werden Beschäftigte nicht vorab über die Überwachung der Nutzung sozialer Medien informiert, stellt dies ein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens dar, urteilte am Dienstag, 05.09.2017, die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg (Az.: 61496/08).

Das Gericht hob damit das vorhergehende Urteil der Kleinen Kammer vom 12.01.2016 auf (Az.: 61496/08). Damit bekam ein gekündigter rumänischer Verkaufsleiter eines in Bukarest ansässigen Unternehmens nun doch noch recht.

Der Sachverhalt der Entscheidung

Der Mann arbeitete von August 2004 bis August 2007 in dem Unternehmen. Um Kundenanfragen in Echtzeit beantworten zu können, sollte er den sogenannten Yahoo Messenger nutzen. Dabei werden Nachrichten in einem Textfeld hin und her geschickt. Mittlerweile ist auch eine Videokommunikation möglich.

Die Nutzung des Internet-Messenger-Dienstes war allein für betriebliche Gründe erlaubt. Am 03.07.2007 wurden die Beschäftigten des Unternehmens darüber informiert, dass eine Kollegin aus „disziplinarischen Gründen“ gekündigt wurde, weil sie Telefon, Fotokopierer und den betrieblichen Internetanschluss zur privaten Nutzung sozialer Medien verwendet hatte.

Nur zehn Tage später geriet auch der Verkaufsleiter in den Blick des Arbeitgebers. Das Unternehmen warf ihm vor, dass er den betrieblichen Yahoo-Messenger während der Arbeitszeit privat genutzt habe. Dies habe eine Auswertung der Kommunikation ergeben.

Als der Verkaufsleiter die private Nutzung bestritt, legte der Arbeitgeber ein 45-seitiges Protokoll mit der gesamten Messenger-Kommunikation vor. Darin fanden sich auch Nachrichten, die der Verkaufsleiter mit seinem Bruder und teils intime Nachrichten, die er mit seiner Verlobten ausgetauscht hatte.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis. Er habe betriebliche Ressourcen für seine privaten Zwecke ohne Erlaubnis genutzt.

Die rumänischen Justiz und die Kleine Kammer des EGMR sahen den Arbeitgeber im Recht

Sowohl die rumänischen Gerichte als auch die Kleine Kammer des EGMR hielten das Vorgehen des Arbeitgebers für zulässig. Es sei nicht unangemessen, dass Arbeitgeber die Aufgaben ihrer Beschäftigten während der Arbeitszeit überwachen, so damals die Straßburger Richter. Hier habe der Arbeitgeber auf das betriebliche Messenger-Konto zugegriffen, im Glauben, darin seien kundenbezogene Nachrichten enthalten.

Es stelle keine Missachtung des Rechts auf Achtung des Privatlebens dar, wenn dabei private Nachrichten entdeckt werden. Auch dass die private Korrespondenz später von den Gerichten während des Rechtsstreits verwendet wurde, sei nicht zu beanstanden.

Die Große Kammer des EGMR beurteilt die private Nutzung sozialer Medien anders

Dem widersprach nun die Große Kammer des EGMR. Bevor ein Arbeitgeber die Internetkommunikation seiner Beschäftigten überwacht, muss er sie grundsätzlich vorab darüber informieren. Zwar könne ein Unternehmen die private Internet-Nutzung restriktiv handhaben, allerdings könne trotz aller Verbote das „private Sozialleben am Arbeitsplatz“ nicht auf Null reduziert werden, betonte der EGMR.

Letztlich müsse immer eine Abwägung zwischen dem Recht auf Privatleben des Beschäftigten und dem Interesse des Arbeitgebers auf störungsfreie Arbeit vorgenommen werden.

Die rumänischen Gerichte haben diese Abwägung fehlerhaft vorgenommen, so der EGMR. Entgegen internationalen Standards sei der Verkaufsleiter nicht über die Überwachung des Messenger-Dienstes und deren Ausmaß vorab informiert worden. Das Unternehmen habe zwar als Grund für die pauschale Überwachung drohende Schäden am IT-System der Firma und mögliche illegale Downloads durch die Beschäftigten angegeben.

Konkrete Hinweise, dass entsprechende Risiken durch Nutzung sozialer Medien beim Beschwerdeführer bestehen, habe es aber nicht gegeben. Die rumänischen Gerichte haben auch nicht geprüft, ob es nicht andere Mittel als die Überwachung gebe, um die private Kommunikation der Beschäftigten zu unterbinden.

Schließlich habe der Arbeitgeber sofort gekündigt. Es sei aber gar nicht klar, ob die Kündigung wirklich das letzte Mittel der Wahl war oder ob nicht andere mildere Sanktionen ausgereicht hätten, rügte der EGMR.

Deutsche Arbeitgeber werden nun zu prüfen haben, welche Folgen die Entscheidung der Großen Kammer des EGMR auf betriebliche Regelungen und Vorgehensweisen nach sich ziehen wird.

Erste EFARBlogParade

Dieser Blogbeitrag ist im Zusammenhang mit der Ersten EFARBlogParade zum Thema „Umgang mit sozialen Medien am Arbeitsplatz“ entstanden. Vielen Dank an Herrn Prof. Dr. Diringer für die Einladung hierzu.

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