LAG Mainz: Arbeitgeber muss von Schwerbehinderung wissen

Arbeitgeber müssen nicht vorsichtshalber alle Beschäftigten darüber informieren, wie viel offenen Zusatzurlaub sie im Fall einer Schwerbehinderung haben. Nur wenn der Arbeitgeber auch tatsächlich von einer Schwerbehinderung weiß, muss er über den noch offenen gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Beschäftigte unterrichten, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in einem aktuell veröffentlichten Urteil vom 14.01.2021 (Az.: 5 Sa 267/19). Die Mainzer Richter ließen die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt zu.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen steht schwerbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von fünf Tagen pro Woche ein Zusatzurlaub von fünf Tagen pro Urlaubsjahr zu. Tarifliche, betriebliche oder sonstige Regelungen bleiben davon unberührt, wenn diese einen längeren Zusatzurlaub für schwerbehinderte Beschäftigte vorsehen.

Nach dem Bundesurlaubsgesetz muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden. Eine Übertragung bis höchstens Ende März des Folgejahres ist aus dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen aber zulässig. Bei Ende des Arbeitsverhältnisses ist offener Urlaub abzugelten.

Im Streitfall war der Kläger vom 22.08.2016 bis zu seiner Kündigung zum 15.02.2019 als Sicherheitskraft angestellt. Laut Arbeitsvertrag musste er 46 Stunden pro Woche zu einem Stundenlohn von zuletzt 10,08 € brutto arbeiten. Ihm wurde nur der gesetzliche Mindesturlaub gewährt. Bei einer Fünftagewoche sind dies 20 Urlaubstage pro Jahr.

Mit der Kündigung verlangte der Kläger noch die Abgeltung offener Urlaubsansprüche. Der Arbeitgeber habe ihn nicht über seine Urlaubsansprüche informiert, so dass diese auch nicht verfallen seien. Er verwies auf die geltende Rechtsprechung des BAG und des Europäischen Gerichtshofs. Er machte jedoch nicht nur Ansprüche aus dem gesetzlichen Mindesturlaub geltend, sondern auch auf Zusatzurlaub wegen Schwerbehinderung. Der Kläger ist seit 2014 als Schwerbehinderter anerkannt.

Abgegolten wurde nur der Mindesturlaub

Der Arbeitgeber zahlte zwar für den Mindesturlaub, wollte aber den Zusatzurlaub bei Schwerbehinderung nicht abgelten. Er habe von der Schwerbehinderung überhaupt nichts gewusst. Daher könne ihm auch nicht vorgeworfen werden, dass er den Kläger darüber hätte informieren müssen. Ansprüchen seien damit verfallen. Im Streit standen 1.113,00 €.

Zwar habe er von der Arbeitsagentur zu Beginn der Beschäftigung des Mannes einen Eingliederungszuschuss erhalten. Dies belege aber nicht, dass er von der Schwerbehinderung Kenntnis hatte. Der Zuschuss sei lediglich für schwer vermittelbare Arbeitsuchende gezahlt worden, so der Arbeitgeber.

Der Beschäftigte meinte, dass es für einen Arbeitgeber zumutbar sei, generell über offene Zusatzurlaubsansprüche für schwerbehinderte Beschäftigte zu informieren – auch wenn sie selbst keine Kenntnis von einer Schwerbehinderung haben. Damit würden sie ihrer Hinweispflicht gerecht und dem Recht des Arbeitnehmers, seine Schwerbehinderung nicht zu offenbaren.

Das LAG wies die Klage auf Urlaubsabgeltung ab. Zwar müsse ein Arbeitgeber auch über den offenen Zusatzurlaub informieren, aber nur, wenn er von der Schwerbehinderung wusste. Dies sei hier nicht belegt. Denn die bei der Arbeitsagentur tätigen vernommenen Zeugen hätten sich nicht daran erinnern können, ob der Arbeitgeber im Zuge des Eingliederungszuschusses von der Schwerbehinderung wusste. Ein anlassloser und gleichsam prophylaktischer Hinweis an alle Arbeitnehmer über den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen bestehe nicht.

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Serie zum Thema Schwerbehinderung im Arbeitsrecht

Zum Schutz und zur Eingliederung behinderter Arbeitnehmer gewährt der Gesetzgeber ihnen besondere Rechte – etwa bei Urlaub, Kündigung und Arbeitszeiten.

Wie genau diese Rechte im Arbeitsalltag aussehen und welche Pflichten damit für die Arbeitgeber verbunden sind, erläutert diese mehrteilige Artikel-Serie.

1. Wer gilt als (schwer)behindert oder gleichgestellt?

Ob eine Behinderung gegeben ist, wird durch den Grad der Behinderung (GdB) bestimmt. Die Höhe des GdB wird im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens durch das Versorgungsamt festgestellt, wenn ein Betroffener einen entsprechenden Antrag stellt.

Ab einem GdB von 20 liegt eine Behinderung vor. Bei Menschen mit einem GdB ab 50 wird von einer Schwerbehinderung gesprochen. Die Unterscheidung ist im Arbeitsrecht dahingehend wichtig, dass eine Schwerbehinderung mit weiterreichenden Rechten einhergeht.

So steht beispielsweise nur schwerbehinderten Arbeitnehmern ein gesetzlicher Zusatzurlaub zu.

Da jede Behinderung aber individuell ist, sieht das Sozialrecht die sog. Gleichstellung vor. Menschen mit einem GdB von 30 bis 40 fällt es häufig ebenso schwer wie Schwerbehinderten, einen Arbeitsplatz zu finden oder diesen langfristig zu behalten. Ist dies der Fall, können sie bei der Agentur für Arbeit einen Antrag auf Gleichstellung einreichen. Die Arbeitsagentur entscheidet dann, ob sie als gleichgestellt anerkannt werden.

Gleichgestellte genießen viele der Rechte von Schwerbehinderten, aber nicht alle.

Die Artikelserie wird in den kommenden Tagen mit Teil 2 fortgesetzt.