LAG Nürnberg begrenzt Einladungspflicht bei Schwerbehinderung

Ein öffentlicher Arbeitgeber muss einem schwerbehinderten Stellenbewerber bei festgestellten charakterlichen Mängeln nicht zum Vorstellungsgespräch einladen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Bewerber bereits kurz vorher bei dem Arbeitgeber beschäftigt war und er wegen der Störung des Betriebsfriedens in der Probezeit gekündigt wurde, entschied das Landesarbeitsgericht Nürnberg in einem am Donnerstag, 16.09.2021, veröffentlichten Urteil (AZ: 5 Sa 418/20). Die Nürnberger Richter ließen die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

Geklagt hatte ein schwerbehinderter Mann aus dem Raum Bamberg, der in einer Kommune befristet in der Kämmerei im Bereich Beitragswesen/Feuerwehrwesen angestellt war. Doch mit Beginn des Arbeitsverhältnisses lieferte er sich zahlreiche Scharmützel mit Arbeitgeber und auch mit Kolleginnen und Kollegen.

So stritt er unter anderem gerichtlich wegen eines vorangegangenen Praktikums über den tatsächlichen Einstellungszeitpunkt. Er verlangte eine höhere Eingruppierung und lehnte es wegen der offenen Fragen über die Vergütung ab, dem Arbeitgeber für die Entgeltabrechnung seine Kontodaten mitzuteilen. Der Arbeitgeber rügte das unentschuldigte Fehlen zu einem Personalgespräch. Über die Höhe einer Stundengutschrift wurde ebenfalls gestritten.

Dem Arbeitgeber war dies alles zu viel. Der Angestellte wurde in der Probezeit wegen einer massiven Störung des Betriebsfriedens fristlos gekündigt. Eine Kündigungsschutzklage endete in einem Vergleich.

Doch so schnell war die Kommune den Mann dann doch nicht los. Denn dieser bewarb sich auch auf eine weitere ausgeschriebene Stelle der Kommune als Verwaltungsfachangestellter für das Bauamt. Er erhielt eine Absage, ohne für ein Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein.

Das Sozialgesetzbuch IX sieht aber vor, dass öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen zum Vorstellungsgespräch einladen müssen, wenn sie „fachlich geeignet“ sind.

Er sei aber trotz seiner fachlichen Eignung nicht eingeladen worden, so der Kläger. Dies sei ein Indiz dafür, dass er wegen seiner Behinderung diskriminiert wurde. Er verlangte daher von der Kommune ein Schmerzensgeld in Höhe von zwei Monatsgehältern, insgesamt 3.101,00 €.

Die Kommune meinte, dass sie den Mann nicht einladen musste. Er habe bei seiner früheren Beschäftigung massiv den Betriebsfrieden gestört. Damit sei er charakterlich nicht für die neue Anstellung geeignet gewesen.

Arbeitsgericht und LAG geben dem Arbeitgeber Recht

Das Arbeitsgericht Bamberg lehnte den Anspruch auf eine Diskriminierungsentschädigung ab. Die gesetzlich vorgeschriebene Einladung zum Bewerbungsgespräch diene dem Ziel, dass schwerbehinderte Bewerber den öffentlichen Arbeitgeber von ihrer Eignung überzeugen können. Habe jedoch innerhalb eines Jahres bereits ein Arbeitsverhältnis bei demselben Arbeitgeber bestanden und sei dieses noch in der Probezeit aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt worden, bestehe nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen kein Anspruch auf Einladung zum Vorstellungsgespräch für eine neue Stelle. Der Arbeitgeber kenne ja den Bewerber. Eine verpflichtende Einladung würde nur eine Förmelei bedeuten.

Mit Urteil vom 20.05.2021 bestätigte das LAG die arbeitsgerichtliche Entscheidung „vollumfänglich“. Öffentliche Arbeitgeber seien auch dann nicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch verpflichtet, wenn dem Bewerber lediglich die persönliche oder charakterliche Eignung fehle. Zwar könnten in einem Gespräch „eventuelle Fehleindrücke“ entkräftet werden. Hier habe der Arbeitgeber aber die persönliche Ungeeignetheit des Mannes mehrfach zum Ausdruck gebracht. Daher sei es ausgeschlossen, dass der Bewerber den Arbeitgeber von seiner persönlichen Eignung noch überzeugen könne.

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Serie zum Thema Schwerbehinderung im Arbeitsrecht

Zum Schutz und zur Eingliederung behinderter Arbeitnehmer gewährt der Gesetzgeber ihnen besondere Rechte – etwa bei Urlaub, Kündigung und Arbeitszeiten.

Wie genau diese Rechte im Arbeitsalltag aussehen und welche Pflichten damit für die Arbeitgeber verbunden sind, erläutert diese mehrteilige Artikel-Serie.

1. Wer gilt als (schwer)behindert oder gleichgestellt?

Ob eine Behinderung gegeben ist, wird durch den Grad der Behinderung (GdB) bestimmt. Die Höhe des GdB wird im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens durch das Versorgungsamt festgestellt, wenn ein Betroffener einen entsprechenden Antrag stellt.

Ab einem GdB von 20 liegt eine Behinderung vor. Bei Menschen mit einem GdB ab 50 wird von einer Schwerbehinderung gesprochen. Die Unterscheidung ist im Arbeitsrecht dahingehend wichtig, dass eine Schwerbehinderung mit weiterreichenden Rechten einhergeht.

So steht beispielsweise nur schwerbehinderten Arbeitnehmern ein gesetzlicher Zusatzurlaub zu.

Da jede Behinderung aber individuell ist, sieht das Sozialrecht die sog. Gleichstellung vor. Menschen mit einem GdB von 30 bis 40 fällt es häufig ebenso schwer wie Schwerbehinderten, einen Arbeitsplatz zu finden oder diesen langfristig zu behalten. Ist dies der Fall, können sie bei der Agentur für Arbeit einen Antrag auf Gleichstellung einreichen. Die Arbeitsagentur entscheidet dann, ob sie als gleichgestellt anerkannt werden.

Gleichgestellte genießen viele der Rechte von Schwerbehinderten, aber nicht alle.

Die Artikelserie wird hier mit Teil 2 fortgesetzt.