Die gesetzlichen Krankenkassen müssen im Ausnahmefall auch eine Privatbehandlung bezahlen – nämlich dann, wenn der Patient gar nicht wusste, dass es eine Privatbehandlung ist. In solchen Fällen liegt ein „Systemversagen“ vor, das der Krankenkasse zuzurechnen ist, heißt es in einem am Montag, 15.08.2011, veröffentlichten Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) in Darmstadt (AZ: L 8 KR 313/08). Über mögliche Regressansprüche gegen den Arzt hatte das LSG nicht zu entscheiden.
Im Streitfall hatte der Hausarzt eine an metastasiertem Darmkrebs leidende Rentnerin zu einer palliativen Chemotherapie (Chemo-Embolisation) in die Universitätsklinik Frankfurt am Main überwiesen. Ein Arzt des dortigen Zentrums der Radiologie war ermächtigt, diese Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen durchzuführen. Der Arzt setzte die Patientin unter Druck, ihre Einwilligung zu einer anderen Behandlung (transarterielle Chemo-Perfusion) zu unterschreiben, klärte sie aber nicht darüber auf, dass diese Methode von den gesetzlichen Kassen nicht bezahlt wird. So beantragte die Patientin Kostenerstattung für ihre erste Rechnung über 18.700,00 €. Die Krankenkasse lehnte dies ab.
Während das Sozialgericht Frankfurt die Klage der inzwischen verstorbenen Rentnerin noch abwies, verurteilte nun das LSG die Krankenkasse, diese Kosten zu erstatten. Die Patientin habe sich nicht bewusst außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung begeben und angenommen und angenommen, bei ihren Unterschriften gehe es lediglich um die zusätzliche Vergütung der Chefarztleistungen.
Damit liege ein „Systemversagen“ vor, das der Arzt als beauftragter Akteur der gesetzlichen Krankenkassen ausgelöst habe. Zwar habe die Patientin einen Rückforderungsanspruch gegen den Arzt der Uniklinik. Es sei aber „nicht sachgerecht“ sie auf ein gegebenenfalls langwieriges Gerichtsverfahren zu verweisen, mit dem sie diesen Anspruch geltend machen müsste.
Patienten, die sich nach dem ablehnenden Bescheid der Krankenkasse weiter einer begonnenen Privatbehandlung unterziehen, müssen nach dem Darmstädter Urteil die dann anfallenden weiteren Kosten auch privat übernehmen. Auf ein „Systemversagen“ könnten sie sich nicht mehr berufen, weil sie nun wüssten, dass die Kasse die Kosten nicht übernimmt. Im konkreten Fall bleiben die Patientin beziehungsweise ihre Angehörigen daher auf Kosten von rund 50.000,00 € sitzen.
Gegen dieses LSG-Urteil vom 28.04.2011 wurde bereits Revision zum Bundessozialgericht (AZ: B 1 KR 6/11 R) eingelegt. In dem Verfahren ist nicht über Regressansprüche der Krankenkasse gegen den Arzt und mögliche weitere Sanktionen zu entscheiden.
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