Mitarbeiterinnen in Arztpraxen müssen bei einem Wechsel des Chefs um ihren Job fürchten. Denn diese gehen nicht automatisch auf den Nachfolger über, heißt es in einem kürzlich schriftlich veröffentlichten Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt (AZ: 8 AZR 107/10). Grund ist die wesentliche Bedeutung des Arztes für seine Praxis. Offen bleibt, ob diese Rechtsprechung auch auf andere Freiberufler übertragbar ist.
Nach den Regeln des sog. Betriebsübergangs tritt der Erwerber eines Betriebes oder Betriebsteils in sämtliche Rechte und Pflichten gegenüber den vorhandenen Mitarbeitern ein. Dies gilt nach bisheriger Rechtsprechung, wenn eine in sich funktionsfähige Einheit auf den Erwerber übergeht. Dabei können Gebäude, Betriebsmittel und Personal – aber auch Rechte beispielsweise an Patenten wesentlich für die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Einheit sein.
Im Streitfall stützte sich eine Arzthelferin auf diese Regeln. Ihre Chefin, eine Hausärztin in Baden-Württemberg, hatte ihren Praxissitz samt einigen geringwertigen Gegenständen an eine jüngere Kollegin verkauft; auf diese ging auch die Zulassung über. Die neue Ärztin führte die Praxis in anderen Räumen und mit neuem Personal fort.
Sie muss die klagende Helferin dabei nicht übernehmen, urteilte nun das BAG. Denn das Wesen einer Arztpraxis mache vorrangig der Arzt selber und das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinen Patienten aus. Er sei meist der Grund, weshalb Patienten eine bestimmte Praxis aufsuchen. Zumindest in einer Einzelpraxis sei „die gesamte Organisation auf die Person des Arztes zugeschnitten, insbesondere auf dessen individuelle ärztliche Arbeitsweise“.
Als Konsequenz sieht das BAG den Betrieb der Arztpraxis mit dem Wechsel des Arztes in der Regel als zerschlagen an. Ein Betriebsübergang kann dann nicht mehr stattfinden, und der Nachfolger muss die Mitarbeiterinnen der Vorgängerpraxis nicht übernehmen. Ob sich einzelne Helferinnen einklagen könnten, wenn der Praxisnachfolger die meisten Kolleginnen weiterbeschäftigt, blieb offen. Anders könnte der Sachverhalt auch bei Praxen liegen, die vorrangig wegen der dort vorhandenen Geräte aufgesucht werden. Als solche Ausnahmen nennt das BAG radiologische oder nuklearmedizinische Praxen.
Nicht zu entscheiden hatte das BAG in seinem Urteil vom 22.06.2011 zudem, ob diese Rechtsprechung auch auf andere Freiberufler übertragen werden kann, etwa eine kleine Anwaltskanzlei, die ihre Mandanten überwiegend durch Mund-zu-Mund-Propaganda gewinnt. Weitere Informationen zu diesem Fall finden Sie hier und hier.
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