Gymnasiasten, die in nicht notenrelevanten Schulkursen nur 0 Punkte erreichen, müssen trotzdem die Chance auf ein Abitur haben. Solche Kurse dürfen nicht automatisch als „nicht besucht“ gewertet werden, wie der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in Mannheim in einem am Montag, 02.12.2012, veröffentlichten Eilbeschluss entschied (AZ: 9 S 3135/11). Danach darf eine Gymnasiastin aus dem Raum Karlsruhe bis auf weiteres wieder die Schule besuchen.
Die heute 20-Jährige hatte im ersten Halbjahr der Klasse 13 im Fach Bildende Kunst nur o von 15 Notenpunkten erreicht. Daraufhin teilte ihr die Schulleitung mit, sie werde nicht zum Abitur zugelassen und müsse die Schule verlassen.
Dagegen geht sie mit einer Klage vor. Da sich das Hauptverfahren über Jahre hinziehen kann, verlangte sie zudem einstweiligen Rechtsschutz, um vorläufig weiter ihre Schule besuchen zu können.
Den hat ihr der VGH nun gewährt. Dabei äußerten die Mannheimer Zweifel an der konkreten Notenvergabe im Fach Kunst, vorrangig aber auch an der in zahlreichen Bundesländern übliche Regelung, dass ein Kurs mit 0 Punkten als „nicht besucht“ gilt.
In Baden-Württemberg müssen Gymnasiasten in den letzten beiden Schuljahren mindestens vier Halbjahre in Kunst oder Musik belegen. Aber nur zwei davon müssen in die Abiturnote eingebracht werden. Da der Kurs mit 0 Punkten offiziell als „nicht besucht“ gilt, konnte die Schülerin trotzdem ihr Abitur nicht mehr erreichen.
Unstreitig habe sie den Unterricht aber besucht, heißt es nun in dem Mannheimer Beschluss vom 15.12.2011. Zudem habe die Kultusministerkonferenz nur vereinbart, dass kein Kurs mit o Punkten in das Abitur eingebracht werden darf. Dies sei hier aber auch nicht nötig gewesen, weil die Schülerin ihre zwei erforderlichen Kunst-Kurse bereits im Jahrgang zwölf erfolgreich belegt habe. Dass der Kurs trotzdem als „nicht besucht“ gilt, sei von den Zielen der Regelungen her nicht notwendig und gehe offenbar auch über das Gewollte hinaus.
Aber warum § 123 VwGO?
Da es sich bei dieser Maßnahme um einen Verwaltungsakt gehandelt hat, müsste der Widerspruch aufschiebende Wirkung gehabt haben. Sofern das SchulG vorsieht, dass der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, dann wäre doch der Antrag nach § 80 V VwGO (Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkunge) statthaft gewesen, vgl. § 123 V VwGO?
Ach sorry, dazu muss man natürlich den ganzen Beschluss haben, siehe hier:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=15138 (Rn. 5)
Die Kritik des VGH an der Regelung, Kurse mit 0 Notenpunkte als nicht besucht einzustufen, ist nicht nachzuvollziehen. Wobei Punkt 21 der Urteilsbegründung sowieso erhebliche Zweifel an der schulisch/mathematischen Kompetenz des Gerichts aufwirft.
Im konkret vorliegenden Fall dürfte die Entscheidung jedoch trotzdem vertretbar sein, da der Zweifel an der Notenentstehung und den zugrundeliegenden Ursachen (zumindestens dem zufolge, was man der Begründung entnehmen kann) eher nicht auszuräumen sein dürfte.
Aus Schulsicht hingegen ist das Urteil erstmal kritisch zu betrachten. Wenn es zulässig ist, einen Kurs einzubringen, der nicht bepunktet sein muß (also mit 0 Notenpunkten abgeschlossen wurde), wird das natürlich im Extremfall dazu führen, das der Kurs belegt wird, der Schüler auch anwesend ist (Fehlzeiten wären ja wieder ein Ausschlussgrund), aber nichts macht, oder irgendwelche Leistungen abliefert. Was für den Rest der Klasse auch nicht fördern ist.
0 Notenpunkte bedeuten nicht umsonst eine Leistungsverweigerung. In der Gesamtnote, gerade in einem künstlerischem Fach, ist es eigentlich kaum möglich, ohne gezielte Vermeidung von Leistungsabgaben (wie hier im vorliegenden Fall ja auch, die 0 Punkte kamen zustande, weil die Schülerin ihre Leistung verweigert hat, und nur eine Fiktivbenotung in ‘Unterrichtsteilnahme’ einbringt, eine Benotung, die jeder normale Lehrer niemals durchführen würde, da eine solche Note nicht nachweisbar ist) auf so ein Endresultat zu kommen.