© Harald07 - Fotolia.comContergangeschädigte haben grundsätzlich keinen Anspruch auf die volle Kostenübernahme für Zahnimplantate durch die gesetzliche Krankenversicherung. Die Conterganschädigung sei kein besonderer, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) aufgeführter Ausnahmefall, der die kostenfreie Implantat-Versorgung begründen kann, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem am Mittwoch, 27.02.2013, veröffentlichten Urteil (AZ: L 5 KR 95/11).

Im konkreten Rechtsstreit hatte der 1962 geborene Kläger von seiner Krankenkasse die volle Kostenübernahme für zwei Implantatzähne in Höhe von insgesamt 4.608,00 € beantragt. Der Mann berief sich dabei auf seine Conterganschädigung. Die Kasse erkannte zwar einen Härtefall an und wollte daher das Doppelte des bei Zahnimplantaten üblichen Festbetrags zahlen – insgesamt aber immer noch nur 579,00 €.

Der Kläger ist eines der Opfer des Anfang der 60er Jahre aufgedeckten Contergan-Skandals. Der Stolberger Pharma-Hersteller Grünenthal hatte bis dahin sein Beruhigungs- und Schlafmittel Contergan mit dem Wirkstoff Thalidomid millionenfach weltweit verkauft. Das rezeptfreie Medikament wurde auch für Schwangere empfohlen. Es stellte sich aber heraus, dass Thalidomid Föten schädigt. Neugeborene litten an schweren Fehlbildungen oder dem Fehlen von Gliedmaßen und Organen.

Bei dem Kläger bestehen Missbildungen an beiden Händen. Wegen einer später erlittenen Kopfverletzung ist er zusätzlich in seiner Grobmotorik stark eingeschränkt. Der schwer pflegebedürftige und schwerbehinderte Mann begründete seinen Antrag auf Implantatversorgung damit, dass er wegen seiner Missbildungen verstärkt seine Zähne benutzen müsse – beispielsweise beim Flaschenöffnen. Dies habe seit seiner Kindheit zu einem erhöhten Zahnverschleiß geführt.

Eine herausnehmbare Zahnprothese könne er behinderungsbedingt nicht nutzen. Er könne sie nicht in den Mund einsetzen oder herausnehmen. Es stimme zwar, dass die gesetzlichen Vorschriften die Implantatversorgung durch die Krankenkassen grundsätzlich ausschließen. Für Contergangeschädigte müsse jedoch eine Ausnahme gemacht werden. Der GBA als Richtliniengeber habe bei der Festlegung der Ausnahmefälle schlicht die Conterganopfer übersehen. Hier liege ein Systemversagen vor.

Seine Situation sei durch den Contergan-Unfall hervorgerufen worden. Da Opfer eines Verkehrsunfalls mit einem größeren Kiefer- und Gesichtsdefekt ausnahmsweise eine kostenfreie Zahnimplantatversorgung erhalten, müsse dies auch für Contergangeschädigte gelten.

Sowohl das Sozialgericht Aachen als nun auch das LSG wiesen die Klage ab. Der pflegebedürftige Mann könne „dem Grunde nach“ auch eine Zahnprothese verwenden. Dass nur Pflegepersonen diese ihm einsetzen können, sei „ohne Zweifel mit Unannehmlichkeiten verbunden“. Die Menschenwürde würde damit aber nicht verletzt. Auch andere Versicherte würden auf Hilfen beim Einsetzen von Zahnprothesen verwiesen – beispielsweise Demenzkranke oder Armamputierte. Eine Besserstellung von Contergangeschädigten sei nicht nachvollziehbar.

Ein Systemversagen liege daher nicht vor. Auch wenn der Staat und die Gemeinschaft der Steuerzahler verpflichtet seien, die Folgen des Conterganskandals abzumildern, gelte dies nicht für die gesetzliche Krankenversicherung und die dahinter stehenden Beitragszahler, so das LSG in seinem Urteil vom 24.01.2013.

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