© runzelkorn - Fotolia.comSozialgerichte und Landessozialgerichte dürfen ein Verfahren jeweils zwölf Monate liegen lassen. Den Richtern steht eine entsprechende „Vorbereitungs- und Bedenkzeit“ zu, urteilte am Mittwoch, 03.09.2014, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (AZ: B 10 ÜG 2/13 und weitere). Zur Begründung verwiesen die Kasseler Richter auf den Organisations- und Gestaltungsspielraum der Richter und die zumindest zeitweilig zwangsläufige Überbelastung der Gerichte.

Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention garantieren den Bürgern „effektiven Rechtsschutz“, also Gerichtsverfahren in angemessener Zeit. Bei überlangen Verfahren konnten Kläger in Deutschland früher nur den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg anrufen. Auf dessen Drängen trat Ende 2011 das „Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren“ in Kraft.

Danach müssen Bürger bei unangemessenem Stillstand ihres Verfahrens zunächst eine „Verzögerungsrüge“ erheben. Frühestens sechs Monate danach können sie eine Entschädigungsklage erheben. Für jeden unangemessenen Verzögerungsmonat beträgt die Entschädigung dann 100,00 €.

Zuständig für die Justiz sind – von den Bundesgerichten abgesehen – die Länder. Wie nun das BSG betont, müssen sie zwei widerstreitende Interessen zum Ausgleich bringen: einerseits das Interesse der Kläger an einem raschen Urteil, andererseits das Haushaltsinteresse des Staates und der Steuerzahler, nicht zu viele Richter einzustellen.

Angesichts eines schwankenden Prozessaufkommens sei es daher nicht möglich, jede Klage sofort zu bearbeiten, so das BSG. Dabei stehe den Richtern ein Organisationsspielraum zu, in welcher Reihenfolge sie die Fälle bearbeiten. Daher billigte das BSG den Richtern „eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten je Instanz“ zu.

Hinzu kommen in jedem Verfahren der Vorlauf mit Klagebegründung und Klageerwiderung und das tatsächliche gerichtliche Verfahren. Insgesamt müssen Kläger vor den Sozialgerichten daher mit einer Dauer von weit über einem Jahr rechnen, vor allem dann, wenn auch noch Gutachten erforderlich sind.

Nur wenn es darüber hinaus noch unnötige Verzögerungen gibt, kommt eine Entschädigung in Betracht, urteilte das BSG. Dies lasse sich „nicht nach ‚Schema F’ beantworten“, sondern hänge von den Umständen des Einzelfalls ab.

Wie das BSG weiter betont, komme es dabei auch auf das Verhalten der Kläger selbst an. In einem Fall (AZ: B 10 ÜG 2/14 R) hatte eine Ärztin immer wieder neue Anträge gestellt und Schriftsätze mit einer Länge von bis zu 300 Seiten eingereicht. Dass es Zeit dauere, dies alles zu bearbeiten, liege auf der Hand. Auch bei Richtern habe „der Tag nur 24 Stunden“, betonten die Kasseler Richter.

Nach diesen Maßgaben sollen in allen vier verhandelten Fällen nun die Landessozialgerichte über die jeweilige Entschädigung entscheiden. Die Verfahren hatten hier zwischen knapp fünf und knapp acht Jahren gedauert.

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