Weltweit sind etwa 70 Millionen Menschen von Gehörlosigkeit betroffen. Davon leben circa 80.000 Gehörlose allein in Deutschland sowie 16 Millionen Schwerhörige. Viele der Betroffenen haben ihre Gehörlosigkeit geerbt und leben damit bereits von Geburt an. Aufgrund dessen können sie sich in der Regel problemlos in ihrem Alltag zurechtfinden. Doch sind sie auch in der Lage, Auto zu fahren, oder stellt das fehlende Sinnesorgan eine zu große Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dar?
Wann liegt Gehörlosigkeit vor?
Aus medizinischer Sicht spricht man erst dann von Gehörlosigkeit, wenn der oder die Betroffene zwischen den Frequenzbereichen 125 und 250 Hz einen Hörverlust von mehr als 60 dB und in den übrigen Frequenzbereichen von mehr als 100 dB aufweist. Beträgt der durchschnittliche Hörverlust zwischen 70 und 100 dB, liegt dagegen eine hochgradige Schwerhörigkeit vor.
Tatsächlich war es betroffenen Menschen vor vielen Jahren nicht gestattet, eine Fahrberechtigung zu erwerben, da die Gefahr für die Verkehrssicherheit als zu groß betrachtet wurde. Heute sind die wissenschaftlichen Kenntnisse so weit fortgeschritten, dass auch den meisten körperlich beeinträchtigten Personen das Führen eines Fahrzeugs erlaubt ist.
Gehörlosigkeit als Vorteil
Menschen, denen ein Sinnesorgan fehlt, entwickeln in der Regel eine Verbesserung der übrigen Sinne. Aufgrund dessen können sie den gänzlich gesunden Menschen in einigen Aspekten überlegen sein – auch im Straßenverkehr. So sind Gehörlose beispielsweise in hohem Maße visuell orientiert, weshalb sie das Blaulicht von Polizei und Feuerwehr viel früher wahrnehmen als andere Autofahrer. Sie sind somit nicht auf ihren Gehörsinn angewiesen, um auf das akustische Signal der Alarmsirenen zu reagieren, und stellen folglich keine Behinderung im Straßenverkehr dar.
Den Führerschein zu erhalten ist für Gehörlose aber dennoch nicht immer ganz einfach. Es gibt einige grundlegende Voraussetzungen, die Betroffene vorab berücksichtigen müssen.
Voraussetzungen zum Autofahren
Die wichtigste Voraussetzung ist der Nachweis über das Ausmaß der Hörschädigung. Bevor die Unterrichtsstunden in einer Fahrschule besucht werden dürfen, ist es daher notwendig, einen Arzt aufzusuchen. Dieser kann bescheinigen, dass der vorliegende Hörschaden keine weiteren Einschränkungen bedingt, wie etwa eine Störung des Gleichgewichtssinns. Außerdem sind weitere Behinderungen, zum Beispiel eine schwerwiegende Sehstörung zusätzlich zur Gehörlosigkeit, auszuschließen. Ein entsprechendes Gutachten, welches die Fahrtauglichkeit bescheinigt, stellt in erster Linie der Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO) aus.
Fahrschulen für Gehörlose
Eine weitere Hürde stellt die Suche nach einer passenden Fahrschule dar. So ist es notwendig, dass die Fahrschule extra auf die Ausbildung gehörloser Fahrschüler spezialisiert ist. Sowohl die theoretischen als auch die praktischen Unterrichtsstunden müssen mit geeignetem Material für Gehörlose durchführbar sein. Aus diesem Grund ist es auch unerlässlich, dass die Fahrlehrer eine zusätzliche Ausbildung in Gebärdensprache vorweisen können.
Da es während der Fahrt innerhalb einer praktischen Übung für den Fahrschüler allerdings nicht möglich ist, gleichzeitig auf die Straße wie auf die Anweisungen des Fahrlehrers mittels Gebärdenzeichen zu achten, besitzen solche speziellen Fahrschulen darüber hinausgehende Kommunikationsmöglichkeiten, die das Erlernen des Autofahrens für Gehörlose erleichtern.
Gehörlosigkeit im Straßenverkehr erkennen
In Gefahrensituationen kann es hilfreich sein, dass die anderen Verkehrsteilnehmer die vorliegende Gehörlosigkeit erkennen, so zum Beispiel beim Ansprechen nach einem Unfall. Um seine körperliche Einschränkung zu signalisieren, gibt es etwa die gelben Armbinden mit drei schwarzen Punkten. Obwohl viele fälschlicherweise davon ausgehen, dass es sich bei den Trägern dieser Binden um Personen mit einer Sehstörung oder erblindete Menschen handelt, ist dies vielmehr eine Kennzeichnung, dass hier grundsätzlich eine Form einer Behinderung vorliegt. Sie signalisiert anderen Verkehrsteilnehmern, die nach einem Unfall zu Hilfe eilen, dass besonders umsichtig mit den Betroffenen umzugehen ist – entweder aufgrund einer Seh- oder Hörschädigung. Auch für die Rettungskräfte kann diese Information wichtig sein.
Eine weitere Kennzeichnung der eigenen Einschränkung erfolgt innerhalb des Führerscheins. Genau wie Brillenträger einen entsprechenden Zahlencode in ihrer Fahrerlaubnis zu stehen haben müssen, gibt es auch bei vorhandenen Hör- bzw. Kommunikationshilfen ein entsprechendes Zeichen. In Deutschland wird in solchen Fällen die 02 in der untersten Spalte des Führerscheins vermerkt.
Mehr Informationen zum Autofahren mit einer Hörschädigung, z.B. zu den Sonderregelungen beim Führen von Lkw und Bussen, finden Sie unter www.bussgeld-info.de/gehoerlos-autofahren.
Ein Gastbeitrag von: Laura Gosemann
Laura Gosemann hat Germanistik und Linguistik an der Universität Potsdam studiert. Als freie Journalistin schreibt sie v.a. über Rechtsthemen.
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