Der einzelne Arbeitnehmer hat keinen einklagbaren Anspruch auf ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM). Weigert sich der Arbeitgeber ein BEM einzuleiten, kann der Arbeitnehmer sich an seinen Betriebs- oder Personalrat wenden, so das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 08.10.2020 (AZ: 5 Sa 117/20).

Diese aktuelle Entscheidung ist deshalb interessant, weil das LAG Hamm am 13.11.2014 (AZ: 15 Sa 979/14) urteilte, dass Beschäftigte gegen ihren Arbeitgeber einen Individualanspruch auf Durchführung eines BEM haben.

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung des LAG Nürnberg zugrunde:

Der mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger ist bei einer Kommune angestellt. Ein Personalrat besteht dort nicht. Zuletzt wurde der Mitarbeiter auf dem von der Gemeinde betriebenen Campingplatz eingesetzt. In den Jahren 2018 und 2019 war er mehrfach erkrankt. Er forderte deshalb die Durchführung eines BEM. Sein Antrag wurde von der Gemeinde abgelehnt.

Vor dem Arbeitsgericht Würzburg hatte er mit seiner Klage Erfolg.

Das Arbeitsgericht entschied, der Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung des BEM ergebe sich zwar nicht direkt aus § 167 Abs. 2 SGB IX, aber aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 167 Abs. 2 SGB IX).

Gegen dieses Urteil legte die Kommune Berufung ein. Das LAG Nürnberg hat der Berufung stattgegeben und die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen.

Ein einklagbarer Anspruch des Arbeitnehmers könne – entgegen der Auffassung des LAG Hamm – nicht aus der Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB abgeleitet werden. Zwar könnten die Parteien im Arbeitsverhältnis zu leistungssichernden Maßnahmen verpflichtet sein. Auch im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB sei aber der Wille des Gesetzgebers zu beachten, wonach dem Arbeitnehmer kein einklagbares Recht zustehen soll.

Welche Folgen hat nun die Entscheidung des LAG Nürnberg?

Möchte ein Arbeitnehmer ein BEM durchführen lassen und weigert sich Arbeitgeber, muss er sich an seinen zuständigen Betriebsrat oder Personalrat wenden. Kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Durchführung eines BEM nicht nach, kann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz oder eine Teilzeitbeschäftigung nach § 164 Abs. 4, 5 SGB IX gerichtlich geltend machen, wenn er schwerbehindert oder einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist.

Allerdings existieren in der Mehrzahl der Betriebe und Dienststellen keine Betriebs- oder Personalräte. Nicht jeder BEM-berechtigte Beschäftigte ist zudem schwerbehindert oder gleichgestellt. Welchen gesundheitsförderlichen Arbeitsplatz soll ein schwerbehinderter Arbeitnehmer einklagen, wenn doch die Suche nach einem solchen Arbeitsplatz gerade im BEM erfolgen soll?

All diese Umstände berücksichtigt die Entscheidung des LAG Nürnberg nicht, sondern lässt die Arbeitnehmer von unwilligen Arbeitgebern allein im Regen stehen.

Das Urteil des LAG Nürnberg ist nicht rechtskräftig. Der unterlegene Kläger hat Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt (AZ: 9 AZR 572/20).

Für das BEM im Allgemeinen wäre es wünschenswert, wenn sich das BAG der Rechtauffassung des LAG Hamm anschließen würde. Sonst stünde zu befürchten, dass das BEM eine Abwertung erfahren könnte, wodurch schlussendlich sowohl die Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer die Leidtragenden wären.

 

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