LAG Chemnitz: Kündigungsschutzklage ist nachträglich zuzulassen

Gekündigte Arbeitnehmerinnen können bei einem positiven Schwangerschaftstest nicht wirklich sicher von ihrer Schwangerschaft wissen. Haben sie ihren Arbeitgeber über den positiven Test informiert und die Dreiwochenfrist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage verpasst, können sie dennoch die nachträgliche Zulassung ihrer Kündigungsschutzklage verlangen, entschied das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG) in Chemnitz in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 22.04.2024 (Az.: 2 Sa 88/23). Dies sei dann der Fall, wenn sie mit einem ärztlichen Attest verbindlich Kenntnis über ihre Schwangerschaft haben und dann innerhalb einer Frist von zwei Wochen den Antrag auf Zulassung der Klage stellen, so die Chemnitzer Richter.

Schwangere Arbeitnehmerinnen genießen nach deutschem und EU-Recht Kündigungsschutz. Wird ihnen dennoch gekündigt, haben sie nach dem Kündigungsschutzgesetz regelmäßig drei Wochen nach Zugang der Kündigung Zeit, Kündigungsschutzklage zu erheben. Hat die Arbeitnehmerin diese Frist verpasst, kann sie die nachträgliche Zulassung der Klage beantragen, wenn sie „aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf“ der Dreiwochenfrist „Kenntnis“ von der Schwangerschaft erlangt hat. Der Antrag ist dann innerhalb von zwei Wochen „nach Behebung des Hindernisses zulässig“.

Im konkreten Fall war die Klägerin als sogenannte Orthoptistin/Behandlungsassistentin in einer Arztpraxis beschäftigt.

Am 14.05.2022 erhielt sie die ordentliche Kündigung zum 30.06.2022. Als sie am 29.05.2022 einen Schwangerschaftstest machte und dieser positiv ausfiel, teilte sie dies ihrem Arbeitgeber sowohl per E-Mail als auch per Einschreiben mit. Sie wolle schnellstmöglich einen Termin bei ihrer Frauenärztin vereinbaren, um die Schwangerschaft feststellen zu lassen.

Die übliche dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage hatte sie versäumt. Daraufhin beantragte sie am 13.06.2022 beim Arbeitsgericht die innerhalb der hierfür festgelegten Zweiwochenfrist die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Sie wies darauf hin, dass sie vier Tage später einen Termin bei ihrer Frauenärztin habe. Am 21.06.2022 ging dann das ärztliche Attest vom Vortag über das Vorliegen der Schwangerschaft beim Arbeitsgericht ein.

Der Arbeitgeber hielt die Kündigungsschutzklage für unzulässig. Die Klägerin habe bereits mit dem positiven Schwangerschaftstest von ihrer Schwangerschaft gewusst, aber nicht innerhalb der gesetzlichen Dreiwochenfrist Kündigungsschutzklage erhoben.

Das LAG urteilte, dass die Klägerin die Dreiwochenfrist „unverschuldet“ nicht eingehalten habe. Die Kündigungsschutzklage sei daher nachträglich zuzulassen. Zwar habe die Klägerin den Arbeitgeber innerhalb der Dreiwochenfrist über ihren positiven Schwangerschaftstest informiert. Eine „Kenntnis“ von der Schwangerschaft habe damit aber noch nicht vorgelegen.

Hiervon sei erst mit dem ärztlichen Attest vom 20.06.2021 auszugehen. Denn erst mit dem Attest sei – anders als bei einem Schwangerschaftstest – zweifelsfrei belegt, dass eine Schwangerschaft vorliege. Die Klägerin habe daher rechtzeitig die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beantragt. Der Arbeitgeber habe nach der Mitteilung des positiven Schwangerschaftstests und nach Ablauf der regulären Klagefrist nicht darauf vertrauen können, dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden sei.

Der Arbeitgeber hat gegen das Urteil Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt eingelegt. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen 2 AZR 156/24 anhängig.

Zwischenzeitlich hatte der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Arbeitsgerichts Mainz am 27.06.2024 bekräftigt, dass schwangere Arbeitnehmerinnen die Möglichkeit haben müssen, sich wirksam gegen eine Kündigung zu wehren (AZ: C-284/23). Es sei aber zweifelhaft, ob die deutsche Zweiwochenfrist für die nachträgliche Zulassung einer verspätet erhobenen Kündigungsschutzklage dafür ausreiche.

Es sei nicht nachvollziehbar, dass gekündigten schwangeren Arbeitnehmerinnen zunächst eine dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage zustehe, für die nachträgliche Zulassung der Klage aber ihnen aber nur zwei Wochen zur Verfügung stünden, wenn die Klageerhebungsfrist wegen Unkenntnis der Schwangerschaft versäumt worden sei.

Das Arbeitsgericht hatte daraufhin am 10.09.2024 geurteilt, dass die klagende Pflegehelferin im Streitfall keine Klagefrist einhalten musste, weshalb der Klage trotz verspäteter Erhebung stattzugeben war (AZ: 4 Ca 1424/22).

 

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