Zweifeln Arbeitgeber die Richtigkeit einer vom Arzt ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an, müssen sie schon konkrete Belege hierfür haben. Allein die von einem Arbeitnehmer getroffene Aussage vor Kollegen, „auf psychisch krankmachen“ zu wollen, weil er den Stress im Betrieb nicht mehr aushalte, reicht zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht aus, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg – Kammern Freiburg – in einem am 01.03.2019 verkündeten Urteil (AZ: 9 Sa 102/18). Maßgeblich sei vielmehr eine Gesamtbetrachtung des Falles, betonte das LAG.

Geklagt hatte ein in einem Produktionsbetrieb seit 01.05.2014 angestellter Teamleiter. Der Arbeitgeber hatte den Beschäftigten am 09.04.2018 morgens zu einem Personalgespräch bestellt und ihn darin mit verschiedenen Fragen und Vorwürfen konfrontiert. Nach Ende des Gesprächs wurde der Mann 15 Minuten später noch einmal zu einem Austausch aufgefordert. Der Arbeitnehmer war hier sichtlich überfordert und verweigerte die Aussage.

Laut Beschäftigten hatte der Arbeitgeber ihm mitgeteilt, ihn loswerden zu wollen. Man würde gegen ihn „fleißig Abmahnungen sammeln“. Auch wurde er in ein anderes Schichtsystem versetzt. Der Arbeitgeber hat dies alles auch nicht bestritten. Der Teamleiter gab an, am ganzen Körper gezittert zu haben und völlig durch den Wind gewesen zu sein.

Daraufhin soll der Beschäftigte nach Angaben des Arbeitgebers vor Kollegen erklärt haben: „Ich halte den Stress hier nicht mehr aus; ich mache jetzt auf psychisch krank“ oder „Ich lasse mich jetzt krankschreiben“.

Die Hausärztin des Mannes stellte tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus. Der Beschäftigte kündigte zudem sein Arbeitsverhältnis.

Der Arbeitgeber leistete für die Zeit der Krankschreibung keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Äußerungen des Teamleiters wiesen auf den Arbeitsunwillen und nicht auf eine Arbeitsunfähigkeit hin. Die Hausärztin habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach Gefälligkeit erstellt. Außerdem habe der Mann seinen Spind leer geräumt und sich von den Kollegen verabschiedet, was darauf hindeute, gar nicht mehr zur Arbeit erscheinen zu wollen.

Der hinzugerufene Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) hatte allerdings die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Hausärztin nicht beanstandet.

Das LAG gab dem klagenden Teamleiter recht. Dieser habe Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Arbeitgeber habe den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert, auch wenn unterstellt werde, dass die Aussagen des Klägers gegenüber Kollegen wahr seien. Letztlich müsse die Gesamtsituation bewertet werden.

Dass der Arbeitgeber den Teamleiter in den Personalgesprächen mitteilte, ihn loswerden und gegen ihn „fleißig Abmahnungen sammeln“ zu wollen, sei nicht bestritten worden. Die ebenfalls unbestrittenen Symptome des Klägers wie Zittern am ganzen Körper und ein Tunnelblick wiesen auf eine starke psychische Beeinträchtigung hin. Es sei nachvollziehbar, dass der Kläger nicht mehr arbeitsfähig gewesen sei.

Auch dass der Teamleiter seinen Spind leer geräumt und sich von seinen Kollegen verabschiedet hatte, sei noch kein Beleg dafür, arbeitsunwillig zu sein und eine Erkrankung vortäuschen zu wollen.

Der Arbeitgeber habe keine konkreten Anhaltspunkte vorgebracht, warum die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Hausärztin falsch sein soll, zumal der MDK diese bei seiner Prüfung nicht beanstandet hatte. Auch wenn ein anderer, gesunder Kollege die Hausärztin mit einer vorgetäuschten Erkrankung auf die Probe stellte und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhielt, sei dies noch kein Hinweis darauf, dass die Ärztin regelmäßig und in strafbarer Weise falsche Bescheinigungen ausstellt.

 

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