LAG Nürnberg: Mitarbeiterin dann in der Beweispflicht

Reichen mehrere Arbeitnehmer für die Dauer eines von ihrem Chef widerrufenen Betriebsurlaubs gemeinsam eine ärztliche Krankschreibung ein, steht der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung infrage. Dies gilt erst recht, wenn eine betroffene Arbeitnehmerin das Attest ohne Untersuchung und nur nach telefonischer Rücksprache mit ihrer Hausärztin erhalten hat, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 27.07.2021 (Az.: 7 Sa 359/20). Führt die Beschäftigte ihre gesundheitlichen Einschränkungen dennoch plausibel auf eine bestehende Vorerkrankung zurück, könne der Arbeitgeber aber nicht automatisch von einer erschlichenen Krankschreibung ausgehen und ihr fristlos kündigen.

Im Streitfall ging es um eine heute 30-jährige Frau, die seit Dezember 2017 in Teilzeit in einer Allgemeinarztpraxis als Arzthelferin beschäftigt war. Der Arbeitgeber hatte vom 03.04.2020 bis zum 13.04.2020 einen Betriebsurlaub für alle Beschäftigten angeordnet. Als dann aber kurz vorher am 18.03.2020 wegen eines Coronavirus-Falles bei einer Mitarbeiterin das Gesundheitsamt eine zweiwöchige Quarantäne aussprach, widerrief der Arbeitgeber über einen Kurznachrichtendienst den angeordneten Urlaub.

Die Arzthelferin beklagte sich über den Widerruf des Urlaubs. Sie könne nicht arbeiten kommen. Sie brauche wegen einer bestehenden Knochenmarkserkrankung eine gesundheitliche Pause. Bei ihr träten gerade wieder Cluster-Kopfschmerzen auf. Als der Arbeitgeber dennoch an dem Urlaubswiderruf mit Ausnahme einer im Umzug steckenden Beschäftigten festhielt, schickten die anderen drei Mitarbeiterinnen dem Arzt eine Bilddatei mit einer Anzeige zur Praxisschließung und dem Text „Wir machen Urlaub, Ihr Praxisteam“.

Arzt kündigt fristlos und ordentlich

Als dann die Klägerin tatsächlich nicht zur Arbeit erschien und stattdessen – ebenso wie ihre zwei Kolleginnen – eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für genau den Zeitraum des ursprünglich vorgesehenen Urlaubs einreichte, kündigte der Arbeitgeber ihr fristlos, hilfsweise ordentlich. Sie habe ihre Erkrankung nur vorgetäuscht und sich das ärztliche Attest erschlichen, so ihr Chef. Dies sei ein Grund für eine fristlose Kündigung.

Dem stimmte zwar grundsätzlich auch das LAG zu. Im konkreten Fall erklärte es zwar nur die ordentliche Kündigung für wirksam. Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit könne aber ein „wichtiger Grund“ für eine fristlose Kündigung sein. Der Beweiswert einer vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, wenn die Krankschreibung genau den Umfang des widerrufenen Betriebsurlaubs umfasst und die behandelnde Ärztin die Arbeitnehmerin gar nicht persönlich untersucht und die Bescheinigung nur nach telefonischer Rücksprache ausgestellt hat.

Die Klägerin habe den Täuschungsvorwurf aber entkräften können, da sie auf ihre konkret benannten Vorerkrankungen plausibel hingewiesen hat. Der Arbeitgeber habe daraufhin den Täuschungsvorwurf nicht weiter belegen können. Auch die behandelnde Hausärztin habe ausgesagt, dass es nicht den geringsten Hinweis auf erfundene Krankheitssymptome gegeben habe. Daher sei nur die ordentliche Kündigung wirksam.

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