LSG Stuttgart: 17-jähriger Azubi hat sich alterstypisch verhalten

Auch eine „blödsinnige“ Kletteraktion eines Auszubildenden auf dem Dach einer Jugendherberge mit dem Ziel „Mädchenzimmer“, kann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Dies gilt zumindest dann, wenn der Sturz Folge einer „altersbedingten Unreife“ und die mehrtägige Fahrt in die Jugendherberge Teil einer von der Bundesagentur für Arbeit (BA) geförderten Ausbildungsmaßnahme ist, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am Freitag, 11.02.2022, in Stuttgart bekanntgegebenen Urteil (AZ: L 9 U 180/20).

Im konkreten Fall hatte der lernbehinderte Kläger im September 2014 eine von der BA geförderten Ausbildung zum Fachpraktiker Hauswirtschaft begonnen. Hierfür wurde auch eine mehrtägige Einführungsveranstaltung für die Auszubildenden in einer Jugendherberge organisiert. Der 17-jährige Kläger war unter den zehn jungen Frauen – mit Ausnahme des Betreuers – als einziger Mann der Hahn im Korb.

An einem Abend hielt sich der Azubi im Mädchenzimmer der Jugendherberge auf. Es wurde „Blödsinn gemacht, Musik gehört und gequatscht“. Verbotenerweise trank der 17-Jährige dabei Alkohol, was bei ihm zu einem Alkoholpegel von 0,5 Promille führte. Als der Betreuer schließlich das Zusammentreffen der Azubis um 23.00 Uhr beendete und diese ins Bett schickte, hielt sich der Kläger jedoch nicht daran. Nach einem Kontrollgang des Betreuers kletterte der 17-Jährige aus seinem Zimmer über das Dach der Jugendherberge, um so unbemerkt über ein Fenster in das benachbarte Mädchenzimmer zu gelangen.

Doch aus dem erhofften gemeinsamen Abend mit den Mädchen wurde nichts. Er verlor beim Klettern den Halt und stürzte aus acht Meter Höhe auf den Boden. Er erlitt mehrere Brüche im linken Oberarm, des Beckens und der Wirbelsäule. Trotz mehrerer Operationen verblieben noch massive Bewegungseinschränkungen des linken Armes.

Die Berufsgenossenschaft zahlte zunächst 2.600,00 € für voraussichtlich zu gewährende Geldleistungen, forderte dann aber die Zahlung zurück. Der Sturz sei nicht als Arbeitsunfall anzusehen. Das Klettern durch das Fenster mit dem Ziel „Mädchenzimmer“ stehe in keinem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Teilnehmer der Ausbildung. Die Kletteraktion sei dem privaten unversicherten Bereich zuzuordnen. Zudem sei der Azubi alkoholisiert gewesen.

Das LSG stellte in seinem Urteil vom 14.12.2021 jedoch fest, dass das Klettern Richtung Mädchenzimmer noch in einem „inneren Zusammenhang“ mit der Ausbildung stand. Alle Verrichtungen während des Einführungsseminars seien unfallversichert gewesen. Nur weil sich der Kläger „in hohem Maße vernunftwidrig und gefahrbringend“ verhalten habe, sei der Versicherungsschutz noch nicht aufgehoben. Denn der Sturz sei Folge „seiner altersbedingten Unreife und eines für Jugendliche seines Alters typischen gruppendynamischen Prozesses gewesen“.

Nachdem ein Mädchen die angekündigte Kletteraktion angezweifelt habe, sei der 17-Jährige in Zugzwang gekommen. Das Klettern sei zwar unvernünftig und leichtsinnig gewesen, „aber nicht komplett fernliegend“, so das LSG. Der leichte Alkoholkonsum sei hier nicht beachtlich gewesen, so dass ein Unfallversicherungsschutz bestehe.

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