LAG Kiel: Öffentlicher Arbeitgeber muss behinderte Bewerber grundsätzlich zum Vorstellungsgespräch einladen

Bewerbungsgespräche sind für Arbeitgeber zeitaufwendig und arbeitsintensiv. Doch auch wenn öffentliche Arbeitgeber den Bewerberkreis daher möglichst klein halten wollen, müssen sie geeignete schwerbehinderte Stellenbewerber zum Vorstellungsgespräch einladen, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 29.08.2019 (AZ: 5 Sa 375 öD/18). Die Kieler Richter sprachen damit einem abgelehnten schwerbehinderten Bewerber eine Diskriminierungsentschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern zu, insgesamt 7.000,00 €.

Im konkreten Fall hatte das Kraftfahrt-Bundesamt über sein Online-Portal „Ingenieure/-innen (FH – Diplom/Bachelor)“ der Fachrichtungen Kraftfahrzeugtechnik, Maschinenbau, Elektrotechnik oder vergleichbarer Fachrichtungen gesucht. Dienstort sollte Flensburg sein.

Auf die Stelle bewarb sich auch der mit einem Grad der Behinderung von 60 eingestufte Kläger. Dieser hatte 1984 an einer Hochschule Maschinenbau mit dem gewünschten Schwerpunkt studiert und den Abschluss mit der Note „gut“ geschafft.

Das Kraftfahrt-Bundesamt führte eine Vorauswahl der 49 Bewerber durch. 15 Bewerber, darunter ein schwerbehinderter Bewerber, wurden zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Kläger erhielt jedoch keine Einladung, sondern eine Absage.

Dieser fühlte sich daraufhin wegen seiner Behinderung diskriminiert. Als öffentlicher Arbeitgeber sei die Behörde verpflichtet, grundsätzlich geeignete Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen.

Die Behörde argumentierte, dass der Kläger formal gar nicht geeignet sei. Er verfüge mit seinem Uni-Abschluss über eine höhere Qualifikation als in der Stellenanforderung aufgeführt. Die Begrenzung der Vorstellungsgespräche auf Bewerber nur mit Bachelor-Abschluss diene auch dazu, den Bewerberkreis wegen der zeit- und arbeitsintensiven Auswahl möglichst klein zu halten. Würde die höhere Qualifikation des Bewerbers berücksichtigt, müsste schon aus Gleichbehandlungsgründen das Anforderungsprofil der Stelle geändert werden, so dass auch Bewerber mit Uni-Abschluss sich bewerben.

Während des gerichtlichen Verfahrens erweiterte die Behörde ihre Begründung, warum sie den Kläger nicht eingeladen hatte. Sie verwies darauf, dass sie höher qualifizierte Bewerber nicht für die ausgeschriebene Stelle einstellen wolle, da ansonsten der Betriebsfrieden gestört werden könnte. Es könne zwischen unterschiedlich qualifizierten Kollegen leichter zu Konkurrenzkämpfen kommen.

Die Behörde berief sich damit auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20.01.2016 (AZ: 8 AZR 194/14). Die Erfurter Richter hatten darin entschieden, dass die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch von überqualifizierten Schwerbehinderten durch öffentliche Arbeitgeber keine Diskriminierung sein müsse, wenn dies aus personalpolitischen Gründen geschieht.

Solle allein mit der unterbliebenen Berücksichtigung von überqualifizierten Bewerbern die Mitarbeiterzufriedenheit der Beschäftigten gestärkt und drohende „Rangordnungskämpfe“ zwischen den einzelnen Mitarbeitern vermieden werden, liege keine Diskriminierung wegen der Behinderung vor. Ein Anspruch auf Entschädigung bestehe dann nicht, so das BAG.

Das LAG urteilte im konkreten Fall, dass das Kraftfahrt-Bundesamt eine Diskriminierungsentschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern, insgesamt 7.000,00 €, an den Kläger zahlen muss. Der Kläger sei mit seinem Uni-Abschluss für die Tätigkeit fachlich grundsätzlich geeignet und hätte daher zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen.

Zwar habe das BAG entschieden, dass öffentliche Arbeitgeber höher qualifizierte Bewerber für eine ausgeschriebene Stelle unberücksichtigt lassen dürfen, wenn dies dem Betriebsfrieden dient. Hier habe die Behörde jedoch vor allem geltend gemacht, dass der Bewerberkreis möglichst klein gehalten werden solle, da die Auswahlgespräche sehr zeit- und arbeitsintensiv seien. Solch ein personalwirtschaftlicher Grund könne die unterbliebene Einladung aber nicht rechtfertigen, so das LAG. Die Behörde sei „irrigerweise“ davon ausgegangen, den Bewerber wegen des fehlenden FH-Abschlusses nicht einladen zu müssen. Erst später sei die das BAG-Urteil als weitere Begründung angeführt worden.

Die gesetzliche Verpflichtung, grundsätzlich geeignete schwerbehinderte Bewerber trotz des Zeitaufwandes zum Vorstellungsgespräch einzuladen, sei vom Gesetzgeber so gewollt. Da das Kraftfahrt-Bundesamt dem nicht nachgekommen sei, habe es „die Rechte des schwerbehinderten Klägers leichtfertig verletzt“.

Die Behörde sei aus Gleichbehandlungsgründen auch nicht dazu verpflichtet gewesen, dass Anforderungsprofil der Stellenausschreibung zu verändern, so dass sich auch überqualifizierte Bewerber mit einem Uni-Abschluss angesprochen fühlen. Denn diese hätten sich ebenfalls jederzeit auf die ausgeschriebene Stelle bewerben können.

 

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