Bescheinigt ein Arzt fehlerhaft einem Patienten zu spät die weiter bestehende Arbeitsunfähigkeit, darf die Krankenkasse deshalb nicht einfach das Krankengeld streichen. Hat der arbeitsunfähige Versicherte „alles in seiner Macht stehende“ getan, damit keine zeitliche Lücke zwischen der ersten und der nachfolgenden Krankschreibung entsteht, darf ein Fehler des Arztes nicht zu seinen Lasten gehen, urteilte am Donnerstag, 11.05.2017, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (AZ: B 3 KR 22/15 R). In solch einem Ausnahmefall müsse die Krankenkasse weiter Krankengeld zahlen.

Jedes Jahr beziehen mehrere Hunderttausend Arbeitnehmer Krankengeld. Dieses zahlen die Krankenkassen, wenn der Versicherte länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde. Selbst wenn dem erkrankten Versicherten gekündigt wird, besteht der Anspruch auf Krankengeld für dieselbe Krankheit bis zu 78 Wochen fort.

Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen der ersten Krankschreibung und den Folgebescheinigungen keine zeitlichen Lücken bestehen. Bis zum 22.07.2015 sah das Gesetz vor, dass noch vor Ablauf der ersten Krankschreibung die Arbeitsunfähigkeit für die danach folgende Zeit erneut bescheinigt werden muss. Kam der Versicherte auch nur einen Tag nach Ablauf und damit zu spät zum Arzt, ging der Krankengeldanspruch verloren.

Der Gesetzgeber besserte das Gesetz nach. Nun ist es möglich, dass die erneute Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit noch einen Werktag nach Ablauf der vorherigen Krankschreibung ausgestellt wird, ohne dass damit der Krankengeldanspruch verloren geht. Dennoch führen auch hier darüber hinausgehende Verzögerungen zu einem Verlust der Kassenleistung.

Im jetzt entschiedenen Fall galt für die aus der Eifel stammende Klägerin noch die frühere Regelung. Die Frau war an Depressionen erkrankt. Ihr Arbeitgeber hatte ihr gekündigt. Als ihr Anspruch von ihrem Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach sechs Wochen wegfiel, erhielt sie von der Handelskrankenkasse wegen ihrer vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Krankengeld.

Am letzten ihrer Krankschreibung verlangte sie von ihrem Hausarzt eine Folgebescheinigung. Die weiterhin an Depressionen erkrankte Frau wies darauf hin, dass es keine zeitliche Lücke zwischen der ersten und der Folgebescheinigung geben dürfe. Anderenfalls würde sie ihren Krankengeldanspruch verlieren.

Der Hausarzt hielt dies irrtümlich nicht für erforderlich. Sie gehe doch einen Tag später sowieso zur Fachärztin, die sie dann erneut krankschreiben könne.

Doch dies war nach den früheren Regeln genau ein Tag zu spät. Da die Frau nicht fristgemäß die erneute Arbeitsunfähigkeit bescheinigt bekommen hatte, lehnte ihre Krankenasse die Fortzahlung des Krankengeldes ab.

Die Versicherte zog vor Gericht. Sie sei rechtzeitig bei ihrem Hausarzt vorstellig geworden, auch sei sie weiter krank gewesen. Es dürfe ihr nicht angelastet werden, dass ihr Hausarzt sie dennoch nicht krankgeschrieben habe. Ihr Arzt habe sogar in seinen Notizen vermerkt, dass sie weiterhin krank sei. Der Arzt sei auch Kassenarzt und stehe damit im „Rechtsgefüge“ der Krankenkassen. Daher sei der Arztfehler auch der Krankenkasse zuzurechnen. Sie müsse damit weiter Krankengeld zahlen.

Das BSG gab der Frau nun recht. Nach den gesetzlichen Bestimmungen dürfe zwar grundsätzlich keine zeitliche Lücke zwischen den einzelnen Krankschreibungen bestehen. In solch einem Fall gehe der Krankengeldanspruch verloren. Dies hatte auch schon der 1. BSG-Senat zuletzt am 16.12.2014 entschieden (AZ: B 1 KR 31/14, B 1 KR 35/14 und B 1 KR 37/14).

Damals hatten die Kasseler Richter allerdings auch Ausnahmen gesehen. Habe der Hausarzt medizinisch fehlerhaft eine Arbeitsunfähigkeit nicht erkannt und eine entsprechende Krankschreibung nicht ausgestellt, könne ausnahmsweise dennoch ein Krankengeldanspruch bestehen. In solch einem Fall haben Versicherte allerdings das Problem, dass ihre Arbeitsunfähigkeit noch nachträglich belegt werden muss.

Ein Anspruch auf Fortzahlung des Krankengeldes kann aber auch bestehen, wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus nichtmedizinischen Gründen zu spät oder gar nicht ausgestellt wurde, entschied nun der 3. BSG-Senat. Dies sei hier der Fall.

Die Frau sei unstreitig weiterhin krank gewesen. Sie habe sich rechtzeitig bei ihrem Hausarzt wegen einer Folgebescheinigung gemeldet. Sie habe sogar darauf hingewiesen, dass keine zeitliche Lücke zwischen den Krankschreibungen entstehen dürfe. Damit habe sie alles ihr Mögliche getan, um ihren Krankengeldanspruch erhalten zu können.

Der Fehler des Arztes dürfe daher nicht zu ihren Lasten gehen. Dies sei auch aus Gleichheitsgründen geboten. Werde wegen eines medizinischen Fehlers des Arztes nachträglich doch noch die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und Krankengeld gezahlt, müsse dies auch für nichtmedizinische Gründe gelten.

Doch auch dem Arzt sei nicht wirklich ein Vorwurf zu machen. Zwar sehe das Gesetz eindeutig vor, dass keine zeitlichen Lücken zwischen den einzelnen Krankschreibungen entstehen dürfen. Die nachrangigen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen sehen dagegen vor, dass der Arzt noch sieben Tage rückwirkend eine Krankschreibung ausstellen kann.

Dem Arzt sei es dann nicht vorzuwerfen, dass er diese Richtlinien und nicht das Gesetz im Blick hat. Den Krankenkassen seien die anderslautenden Richtlinien bekannt, denn sie seien an der Ausgestaltung beteiligt gewesen. Es sei daher treuwidrig, wenn Versicherte alles richtig gemacht haben, die Kassen mit Verweis auf das Gesetz sich vor der Krankengeldzahlung drücken wollen.

Abschließend möchte ich auf den Blog-Beitrag “Meine erste Krankschreibung bei Depression” von Andreas Humbert hinweisen. Er litt selbst jahrelang unter einer Angststörung mit Panikattacken. Glücklicherweise konnte er diese mittlerweile besiegen und die schwierige Zeit hinter sich lassen.

Bildnachweis: © Trueffelpix – Fotolia.com

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