BGH: Täuschung über ernsthafte Bewerbung muss belegt sein

Scheinbewerbungen auf diskriminierende Stellenangebote zum Erhalt von Diskriminierungsentschädigungen können nur unter engen Voraussetzungen eine Verurteilung wegen Betrugs begründen. Macht ein abgelehnter Stellenbewerber außergerichtlich eine Diskriminierungsentschädigung geltend, ohne dass die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung geklärt ist, liegt noch keine strafbare Täuschungshandlung gegenüber dem Arbeitgeber vor, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Montag, 26.09.2022, veröffentlichten Beschluss (AZ: 1 StR 3/21).

Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) können abgelehnte Stellenbewerberinnen und -bewerber eine Entschädigung in Höhe von bis zu drei Monatsgehältern verlangen, wenn sie wegen ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer Behinderung, ihrer Religion, ihrer Rasse oder ethnischen Herkunft oder wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden. Das machten sich offenbar auch zwei Brüder aus Bayern zunutze.

Das Landgericht München I hatte festgestellt, dass die Männer als sogenannte AGG-Hopper agierten, um mit bundesweit versandten Scheinbewerbungen auf diskriminierende Stellenanzeigen Entschädigungen kassieren zu können. So soll der Angeklagte seine Bewerbungsabsichten nur vorgespiegelt haben, um im Fall einer Absage eine Diskriminierungsentschädigung etwa wegen des Alters oder des Geschlechts fordern zu können. Mit der außergerichtlichen Geltendmachung hatte er dann seinen früher mitangeklagten Bruder und Rechtsanwalt, Nils K., beauftragt, dessen Vorgehen bundesweite Beachtung in den Medien fand. Zuvor hatte der 42-jährige Angeklagte eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, um finanziell Prozessrisiken ausschließen zu können.

Zwischen 30.07.2010 bis zum 01.03.2012 hatte der Angeklagte sich auf zwölf möglicherweise diskriminierende Stellenangebote beworben, etwa weil sich das Stellenangebot nur an Berufseinsteiger richtete.

Mit der Absage forderte der Angeklagte außergerichtlich eine Entschädigung. Keines der Unternehmen kam dieser Aufforderung nach, so dass erst im arbeitsgerichtlichen Vergleich teilweise Entschädigungszahlungen zugesprochen wurden.

Das Landgericht München I wertete bereits das Versenden der außergerichtlichen Aufforderungsschreiben zur Zahlung der Entschädigung als „Täuschungshandlung“. Der Angeklagte wurde wegen Betrugs in drei Fällen und versuchten Betrugs in elf Fällen zu einer Bewährungsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Außerdem wurde die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 13.700,00 € angeordnet. Der Bruder, der Rechtsanwalt, erhielt in einem getrennten Verfahren eine Bewährungsstrafe von 16 Monaten.

BGH entschiedet zugunsten beider Brüder

Der BGH hob mit Beschluss vom 04.05.2022 die Verurteilung des Angeklagten auf und verwies das Verfahren an das Landgericht zurück.

Ebenso entschied der BGH im Verfahren gegen den als Anwalt tätigen Bruder Nils K. (AZ: 1 StR 138/21).

Eine Täuschungshandlung des Angeklagten könne nicht festgestellt werden, so der BGH. Allein das Versenden der außergerichtlichen Aufforderungsschreiben sei noch keine Täuschungshandlung. Eine Täuschung des Arbeitgebers könne nur angenommen werden, wenn falsche Tatsachenbehauptungen bei der Bewerbung aufgestellt werden, etwa über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung.

Das Landgericht habe hier aber bereits fehlerhaft angenommen, dass die außergerichtliche Geltendmachung der Entschädigung als Täuschung zu werten sei. Hier sei in dem Schreiben aber gar nicht auf die Motivation der Bewerbung eingegangen worden, so dass keine falsche Tatsachenbehauptung über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung aufgestellt wurde.

Zudem habe das Bundesarbeitsgericht (BAG) erst nach dem Versand der Aufforderungsschreiben festgestellt, dass Bewerber „unredlich“ handeln können, wenn ihre Bewerbung allein zum Zweck von Entschädigungsansprüchen erfolge (AZ: 8 AZR 608/10). Bis dahin habe noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu vorgelegen.

Dass die Arbeitgeberseite irrtümlich von ernsthaften Bewerbungen ausgegangen sei und darin getäuscht wurde, sei nicht belegt, so der BGH, der damit die Beweiswürdigung des Landgerichts rügte. So habe etwa ein Zeuge angeführt, dass er von einer nicht „ernsthaften Bewerbung“ ausgegangen sei. Eine weitere Zeugin habe sich über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung gar keine Gedanken gemacht.

Über den Fall muss das Landgericht nun neu entscheiden.

 

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